Beschreibung
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Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Diskurses über die ökologische Krise und jüngerer umweltpolitischer Weichenstellungen wird in den kritischen Sozialwissenschaften über die Voraussetzungen, Hindernisse und Chancen eines „grünen Kapitalismus“ diskutiert. Die Debatten gehen von der Annahme aus, dass sich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff., der Zunahme von sozialer Ungleichheit, den geopolitischen und - ökonomischen Verwerfungen und der sich zuspitzenden ökologischen Krise die Widersprüche des neoliberalen Kapitalismus verschärft haben. Ein Schwerpunkt der Forschung liegt auf einer aktiveren Industriepolitik mit dem Ziel einer Dekarbonisierung der Produktion und auf der Frage, ob eine technologische Modernisierung des gegebenen Wachstumsmodells das Ziel ökologischer Nachhaltigkeit erreichen kann. Dagegen werden die Konflikte, über die sich politische Weichenstellungen und gesellschaftliche Diskurse in die betriebliche Praxis übersetzen, bislang wenig thematisiert. Vor allem fehlt es an Wissen darüber, auf welche Weise sich Industriebeschäftigte den Dekarbonisierungsdiskurs aneignen. Sofern Dekarbonisierung im Hinblick auf Industriebeschäftigte thematisiert wird, erscheinen diese eher als passiv-vulnerable Gruppe denn als Akteure der Transformation.
Unser Projekt setzt an dieser Forschungslücke an. Es geht von der Annahme aus, dass über die Qualität der Dekarbonisierung wesentlich auf der betrieblichen Ebene entschieden wird und dass Industriebeschäftigte in den dabei stattfindenden Konflikten eine zentrale Rolle spielen. Wie sich diese Rolle genau gestaltet, auf welche Weise sich Industriebeschäftigte den Dekarbonisierungsdiskurs aneignen und mit ihren Gerechtigkeitsanliegen verbinden, soll in dem Projekt herausgefunden werden.
Kern des Projekts ist eine Erhebung und Auswertung qualitativer Daten in Südostniedersachsen. Hier lassen sich Dekarbonisierungsprozesse in zwei dafür paradigmatischen Branchen beobachten: der Autoindustrie, in der eine Wende hin zum Elektroantrieb forciert wird, und der Stahlindustrie, die sich in der Umstellung auf grünen Wasserstoff befindet. Beide Prozesse gehen mit weitreichenden und konflikthaften betrieblichen Restrukturierungen einher. Das Projekt rekonstruiert die Transformationserfahrungen und Kritikmuster von Beschäftigten. Seine wissenschaftliche und praktische Relevanz besteht darin, Wissen über die Voraussetzungen einer demokratischen Gestaltung von sozial-ökologischen Transformationsprozessen zu generieren, das in der betrieblichen Praxis, aber auch gesellschaftspolitisch dringend nötig ist, wenn die Transformation nicht weiteren Nährboden für demokratiefeindliche, autoritäre Bestrebungen schaffen soll.
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